1. Klaus, was verbirgt sich hinter dem Begriff 'Open Source Program Office' und welche Rolle spielt es in der Standverwaltung München?
Ein Open Source Program Office (OSPO) dient als zentrales Kompetenzzentrum für Open Source Strategien, Richtlinien und deren Umsetzung in einer Organisation. Das Konzept ist nicht neu: Unternehmen wie Siemens oder die WHO setzen auf OSPOs, um den Umgang mit Open Source strategisch zu steuern.
Für eine Großstadt wie München ist ein solches Büro sehr wichtig, um Open Source Software gezielt einzusetzen und aktiv weiterzuentwickeln. Das OSPO in der Landeshauptstadt übernimmt dabei verschiedene Kernaufgaben:
- Beratung: Welche Open Source Software darf innerhalb der Verwaltung genutzt werden? Welche rechtlichen Aspekte sind zu beachten?
- Qualitätssicherung: Bewertung der Software in Bezug auf Sicherheit, Stabilität und Funktionalität.
- Weiterentwicklung: Wenn Funktionen fehlen, wird der Austausch mit Entwickler-Communities koordiniert.
"Neben der internen Beratung fungiert das OSPO als Bindeglied zwischen der Verwaltung und Open Source Communities sowie Unternehmen wie Zammad."
Ein konkretes Beispiel aus München: Wir wollten die Software WinSCP nutzen, aber eine essenzielle Funktion fehlte. Anstatt eine proprietäre Alternative zu suchen, haben wir direkt mit dem Entwickler zusammengearbeitet und die Funktion ergänzt. Das Ergebnis: eine passende Lösung für die Stadt München und ein Mehrwert für die weltweite Nutzerschaft.
2. Welche Bedeutung hat Open Source für die Verwaltungs-IT?
Open Source Software ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu mehr digitaler Souveränität und damit mehr Unabhängigkeit von großen IT-Konzernen, Kontrolle über eingesetzte Software und langfristige Planbarkeit.
Eine moderne Verwaltung arbeitet mit enormen Datenmengen, die verwaltet, verarbeitet und gesichert werden müssen. Hier zeigt sich der praktische Nutzen von Open Source Lösungen besonders deutlich: In München werden zum Beispiel Grundwassertemperaturen öffentlich zugänglich gemacht. Auf den ersten Blick unscheinbare Informationen, die aber für die Wärmeplanung der Stadt essenziell sind. Solche datenbasierten Prozesse erfordern leistungsfähige, flexible und anpassbare Software.
"Die Stadt München orientiert sich an dem Prinzip "Public Money, Public Code": Software, die mit öffentlichen Geldern entwickelt wird, sollte auch öffentlich zugänglich sein."
Anstatt hohe Lizenzgebühren für proprietäre Anbieter zu zahlen, kann die Verwaltung gezielt in die Weiterentwicklung offener Lösungen investieren – effizient, nachhaltig und im Sinne des Gemeinwohls.
3. Was zeichnet den Open Source Ansatz der Stadt München aus?
Die Münchner Verwaltung setzt frühzeitig auf einen praxisnahen Ansatz. Mit dem OSPO existiert hier eine zentrale Anlaufstelle, die Münchner Open Source Vorhaben begleitet, berät und fördert. Das ist ganz konkrete Hilfe, wenn es um Einstellungen im Repository geht, Entscheidungen zur Codestruktur und Dokumentation oder rechtliche Fragen.
Aber Open Source geht nie allein, sondern immer global. Wir haben sehr engen Kontakt mit dem Zentrum für Digitale Souveränität (ZenDiS) auf Bundesebene, aber auch dem Open Source Observatory (OSOR) auf EU Ebene.
Und natürlich mit anderen Kommunen, unter anderem Dortmund, Hamburg, Berlin oder dem Landratsamt Oberallgäu.
4. Welche Herausforderungen siehst Du in der Praxis?
Bei freier Software wird nicht nur in Technik, sondern auch in die Community, die Weiterentwicklung und das gemeinsame Lernen investiert. Dieser nachhaltige, langfristige Ansatz steht oft im Spannungsfeld zu kurzfristigen Erwartungen. Während proprietäre Lösungen mit scheinbar fertigen Paketen werben, verlangt Open Source mehr Eigenverantwortung und Gestaltungswillen. Im Gegenzug ermöglicht sie jedoch echte digitale Souveränität und hilft dabei, Abhängigkeiten von einzelnen Anbietern zu vermeiden.
"Die eigentliche Hürde liegt selten in der Beschaffung. Open Source Software lässt sich rechtssicher und formal korrekt einkaufen. Was in der Praxis häufiger fehlt, ist das Bewusstsein für ihren strategischen Mehrwert."
Natürlich lässt sich Verwaltungs-IT nicht auf Knopfdruck umstellen. Der Einsatz freier Software wie LibreOffice anstelle von Microsoft Office erfordert sorgfältige Vorbereitung – nicht, weil es an Funktionalität mangelt, sondern weil bestehende Strukturen tief in proprietäre Systeme eingebettet sind.
Die Stadt München verfolgt daher einen pragmatischen Weg: Open Source wird dort eingeführt, wo es technisch überzeugt, wirtschaftlich tragfähig ist und langfristig mehr Unabhängigkeit schafft. Im Mittelpunkt stehen dabei Interoperabilität, Nachhaltigkeit und ein schrittweiser, durchdachter Wandel.
5. Gibt es bereits erfolgreiche Open Source Projekte in der Verwaltung?
Open Source ist in vielen Bereichen längst ein fester Bestandteil kommunaler IT und hat bereits zu beeindruckenden Ergebnissen geführt.
In München liegt unser aktueller Fokus auf Rechenzentren und Cloud-Diensten. Gerade hier bietet Open Source enormes Potenzial, um die technologische Unabhängigkeit von proprietären Anbietern zu stärken.
Die Stadt Treuchtlingen setzt seit rund 20 Jahren konsequent auf freie Software und betreibt heute eine leistungsfähige Verwaltung mit einem außergewöhnlich hohen Anteil an Open Source Software.
Einen besonders ambitionierten Weg verfolgt derzeit Schleswig-Holstein: Das Land setzt nicht nur auf Open Source Lösungen, sondern unternimmt auch einen neuen Versuch, den Linux-Desktop in der Verwaltung zu etablieren. Besonders interessant ist zudem der Einsatz freier Software im Bereich der softwarebasierten Telefonie – ein bedeutender Digitalisierungsschritt für die öffentliche Verwaltung.
6. Wie können Open Source Lösungen wie Zammad die Bürgerservices verbessern?
Bürger füllen Webformulare online aus, doch dahinter läuft der Prozess wie früher ab: Ein Sachbearbeiter erhält eine E-Mail, überträgt die Daten manuell und arbeitet in mehreren getrennten Systemen. Für Bürger bleiben die Verwaltungsprozesse intransparent, sie warten auf einen Brief in ihrem Briefkasten.
"Zwar sind viele Bürgerservices heute digital, jedoch oft nur bis zu einem Webformular."
Frühere Softwarelösungen waren meist hochspezialisiert, aber nicht dafür ausgelegt, mit Menschen zu kommunizieren. Zammad schließt genau diese Lücke. Es ermöglicht eine strukturierte, dialogfähige Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern über E-Mail. Ein Beispiel: Wenn ein Eheschließung mit Auslandsbezug beantragt wird, aber notwendige Unterlagen nicht in deutscher Sprache vorliegen, scheitern klassische Systeme oft an solchen Abweichungen. Zammad hingegen erlaubt einfache Rückfragen direkt im laufenden Vorgang.
Ein weiterer Vorteil ist die offene Architektur: Zammad lässt sich über standardisierte Schnittstellen flexibel in bestehende IT-Strukturen integrieren. Prozesse müssen nicht neu entwickelt, sondern nur sinnvoll verknüpft werden. Da Zammad als Open Source Software stetig mit echtem Feedback weiterentwickelt wird, passt sich das Ticketingsystem kontinuierlich an neue Anforderungen an – praxisnah und ohne Lizenzabhängigkeit.
Die Stadt München nutzt diese Stärken gezielt für ihre Bürgerservices. Seit Anfang 2024 kommt dort Zammad als zentrales Ticketsystem zum Einsatz. Neun digitale Services, darunter stark genutzte wie der Führerscheinantrag, sind bereits angebunden. Das Ziel ist klar: Schritt für Schritt sollen alle rund 250 Online-Dienste integriert werden. Mit Zammad entsteht ein durchgängiger, digitaler Bürgerservice, der im Alltag Verwaltung und Bürger gleichermaßen entlastet.
🚀 München macht’s vor
Was tun, wenn digitale Anträge an analogen Abläufen scheitern? Die Stadt München zeigt einen Lösungsweg auf:Mit Zammad zur lückenlosen Bürgerkommunikation
7. Was braucht es, damit Open Source in Städten wie München noch stärker zum Standard wird?
Entscheidend ist die Haltung: Open Source ist keine kurzfristige Sparmaßnahme, sondern eine strategische Investition in digitale Souveränität und Zukunftsfähigkeit. Dafür sind neben finanziellen Mitteln auch die Bereitschaft zum Umdenken, klare politische Rückendeckung sowie der Wille zur Zusammenarbeit innerhalb der Verwaltung und darüber hinaus erforderlich.
Die Stadt München zeigt, wie dieser Wandel gelingen kann: Mit einem Open Source Program Office (OSPO) als strukturgebendem Rahmen, konkreten Projekten wie der Einführung von Zammad im Bürgerservice und einer aktiven Anbindung an die Open Source Community. Solche Ansätze können als Modell für andere Kommunen dienen.
"Ein entscheidender Faktor ist dabei die Vernetzung zwischen den Verwaltungen. Wenn Lösungen gemeinsam genutzt, angepasst und weiterentwickelt werden, lässt sich das volle Potenzial von Open Source ausschöpfen."
München teilt beispielsweise aktiv Erfahrungen aus dem Einsatz von Zammad mit anderen Städten. Schleswig-Holstein stellt seine Entwicklungen öffentlich bereit und fördert die Nachnutzung. Durch solche Lernbeziehungen wird nicht nur der Entwicklungsaufwand gesenkt, sondern es werden auch Standards geschaffen, auf die andere Kommunen direkt aufbauen können, anstatt bei jedem Projekt bei null zu beginnen.